Werder Bremen als messianische Bewegung

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

der moderne Mensch ist stets auf der Suche nach einem Ersatz für die ihm verloren gegangene Religion. Und er findet ihn: Nationalismus etwa ist eine politische Religion mit Stiftern, Heiligen und Gläubigen. Der Kommunismus ist bekannt für seine heiligen Schriften, seine Schismen, Exkommunikationen und den Kampf um die reine Lehre.

Als orthodoxe Anhänger des SV Werder Bremen, und solche sind hier bekanntlich alle, kommt man nun nicht umhin, auch diesen auf seine Verwandtschaft zum Glauben zu befragen. Und der zentrale Glaubenssatz unserer Gemeinschaft ist ganz offensichtlich: Der Messias wird kommen. Er wird kommen, und er wird uns erlösen und es wird herrlich sein. Wir werden Deutscher Meister sein, alle zusammen und mit ihm.

Wir wissen das, weil er schon da war. Zweimal. Das erste Mal erschien er im Jahr 1981 im Körper von Otto Rehhagel und brachte uns das Glück. Die Details sind in den Büchern nachzulesen, und mit jedem neuen Tag des Leidens wenden wir uns mehr den Überlieferungen der Alten zu. Da steht, dass es unserer Gemeinschaft schlecht ging, als er kam. Und da steht, dass er gut war.

Nach langen Jahren des Glücks wurde er, so gehen diese Dinge, von bösen Menschen außerhalb der Gemeinschaft ermordet. Und dann warteten wir, dass alles wieder in Ordnung käme. Als messianische Bewegung nahmen wir an, dass wir in einer außerordentlich schlechten Zeit leben, in der alles zu Grunde geht. Es ist aber eine Übergangszeit, nach der alles wieder so wird, wie es sein soll. Wir warten auf die Zeichen seiner Ankunft. Und er kommt.

Das zweite Mal erschien der Messias 1999 als Thomas Schaaf. Er war jung, und er war unschuldig. Nach wenigen Wochen hatten wir das Böse im direkten Kampf besiegt und eilten der goldenen Zukunft entgegen. Meisterschaft und Pokal kamen zu uns, und wir gingen in die ganze Welt.

Seit 2013 warten wir wieder. Dass Robin Dutt nicht ER sein würde, war klar. Aber Viktor Skripnik, Alexander Nouri und Florian Kohfeldt waren jung und unschuldig genug, dass einer von ihnen es hätte sein können. Jugend ist wichtig im Erlösungsglauben, Jugend ist Zukunft.

Doch, liebe Gemeinde, es melden sich die Zweifler. Unser Glaube an die göttliche Macht des Einzelnen könnte etwas aus der Zeit gefallen sein. Die Erwartung, dass es nur einen besonders schlauen Taktikfuchs mit viel Charisma und möglichst wenig Erfahrung braucht, um wieder Deutscher Meister zu werden, ist lächerlich, unrealistisch, falsch. Früher hatten wir halb so viel Geld wie der große Club, heute ein Zehntel. Also ist der Glaube an den Erlöser nicht wirklich nur das: ein Glaube? Ein Irrglaube?

Liebe Leserinnen, liebe Leser, von der hier vorgetragenen Analyse aus mit kaltem Verstand auf die Gefühlswelt der Werderaner zu schauen und diese lächerlich zu machen, wäre grundfalsch. Aus der Erkenntnis, dass es sich bei uns um eine messianische Sekte übelster Sorte handelt, darf keine Apostasie folgen. Im Gegenteil, habt Mut zu glauben! Jeder große Glaube ist lächerlich, unrealistisch und falsch. Aber er ist deshalb auch mächtig. Tatsächlich ist es so: Werder Bremen und der Glaube an den Messias sind nicht mehr voneinander zu trennen. Alle Vereine träumen vom großen Ruhm, aber unser Glaube ist konkret: Eines Tages wird ein neuer Rehhagel, ein neuer Schaaf kommen. Er wird irgendwo elf erstaunlich gute Spieler finden, die erst Deutschland und dann Europa an die Wand spielen. Und es wird gut sein.

Diese Überzeugung ist Werder Bremen. Und je weiter weg der Tag scheint, umso mehr wollen wir an ihn glauben.

Rechtsfreie Räume

Die Redaktion möchte in Juristerei, Journalismus und Wissenschaft beschäftigten Menschen folgendes Projekt aufdrängen: eine Liste mit Dingen, die in Deutschland zwar verboten sind, aber nicht bestraft werden.

In Dresden etwa stellt die Polizei ihr Blitzgerät in einer Dreißiger-Zone so ein, dass Autos erst ab 43km/h überhaupt erfasst werden. Man wolle „den Autofahrern Luft zum Atmen lassen“. Die Differenz zwischen der Rechtslage und der Rechtspraxis sind hier 13 km/h, die zuständige Behörde gönnt damit den Autofahrern mehr Freiheit. Dafür bezahlen die anderen Verkehrsteilnehmer mit weniger Sicherheit.

Ein schöneres Beispiel ist die Straffreiheit von Cannabis in kleinen Mengen. Der Besitz ist zwar verboten, wird aber meistens nicht bestraft. Und überhaupt wird aus Gründen der Verhältnismäßigkeit vieles kaum verfolgt, was streng genommen verboten ist. Meistens kommt es dann auch noch darauf an, wer da etwa mit dem E-Roller auf dem Gehweg unterwegs ist – schwarzhaariger Jugendlicher oder posher Manager.

Vielleicht gibt es dazu schon detaillierte Forschung, ansonsten muss man das nachholen. Denn zu jedem Regelverstoß, der als Bagatelle behandelt wird, gibt es irgendwo ein Bagatelldelikt, das als die Gesellschaft bedrohende Straftat behandelt wird. Deshalb sollte es zu jedem Politiker, der keine „rechtsfreien Räume dulden“ will, einen Wissenschaftler geben, der ihm genau aufzeigt, welche rechtsfreien Räume dieser Politiker eben doch gerne duldet.

Die Redaktion gründet deshalb hiermit das Institut für rechtsfreie Räume (IRR). Sobald üppige Fördergelder fließen, werden hier die ersten Stellenangebote erscheinen. Unsere erste Publikation wird „Wer darf was?“ heißen und eine umfangreiche Auflistung von rechtsfreien Räumen einerseits und unverhältnismäßig stark verfolgten Gruppen und Delikten andererseits enthalten. Von Wortspielen mit unserem Kürzel bitten wir abzusehen.